Prozessbericht 22.06.21 (english version below)
Der zweite Prozesstag des Gerichtstheater um die “Tu-Mal-Wat Tage” 2019 findet sein Ende. Nach der Besetzung der “Roten Villa” in der Landsbergerallee 54 um ein Schutzraum für FLINTA* zu eröffenen traf ein Repressionswelle die Besetzer*innen. 9 von 14 Besetzer*innen wurden Gewaltsam von der 13. EHu einem 2,5m hohen Podest geräumt, andere wurden von Klettercops aus Traversen geholt. Eine Person wurde damals wegen Personalienverweigerung in U-Haft gesteckt. Nun durfte diese Person die Anliegen der Besetzung ein weiteres mal vortragen. Im Hochsicherheitssaal…
Vorspiel der Justizangestellte
Schon zu Beginn, wurde sowohl die angeklagte Person, als auch eine solidarische Prozessbegleiter*in (verkleidet als Giraffe und Schweinchen) nicht ins Gebäude gelassen. Die angeklagte Person wird zunächst genötigt sich auszuziehen und wird überflüssig gründlich durchsucht. Weil die angeklagte person sich weigerte sich auszuziehen wurde mit einem Hausverbot gedroht. Das Frühstücksbrötchen, ein Nudelsieb, eine Waage, eine Guitarre und ein Bettlacken wurden einbehalten. Mindestens zwei Justizwachtel zogen derweil ihre Quarzhandschuhe über und veranstalten ein Mackertheater. Klar, so Menschen in Tierkostümen sind schon gemein gefährlich. Da muss auf jeden Fall auch für jede Person ein Begleitschutz zum Klo vorhanden sein. Doch schließlich gaben die Wachteln nach und ließen die Tierkostüme zu.
Kostümstreit 2.0
Auch die Richterin schien nicht begeistert über die Anwesenheit der Tierverkleidungen, und wies die Laienverteidigung an ihr Zebrakostüm auszuziehen. Das Zebra entgegnete, dass Staatsanwaltschaft, Richterin und sogar die Wachteln auch in Kostümen erschienen seien. Wenn das Zebra sich ausziehen solle, sei es nur fair, wenn alle anderen auch ihre Kostüme ablegten. Als die angeklagte Person in Schweinskostüm den Hochsicherheitssaal betrat gab die Richterin den Kostümstreit auf und belehrte die anwesenden Zeugen.
“Eine Hebeltechnik wurde angewendet. Ein Schmerz im Handgelenk macht, dass du FREIWILLIG gehst…”
Nun sollte es mit der Zeug*innenbefragung weiter gehen. Beim ersten Prozesstermin wurden bisher nur der Objektmanager der Villa54 und der Cop der 13. Hundertschaft „Lange“ aufgerufen. Bevor es mit der Befragung losgehen kann, stellte die beschuldigte Person einen Antrag auf einen Waffenfreien Gerichtssaal. Mit Erfolg. Der bewaffnete Berufszeuge „Bachmann“ musste vor seiner Aussage seinen Gürtel mit Pfefferspray ablegen. In Schusssicherer Weste wiederholte er im Grunde die Aussagen vom Cop „Lange“: Er habe eine Hebeltechnick beim Herauslösen der Besetzer*innen angewendet, dass sich diese „freiwillig“ lösen. Es sei ja so gruselig und bedrohlich gewesen die Besetzer*innen singen zu hören, es war ja auch dunkel.. Auf viele Fragen findet Bachmann keine Antwort, kann/will sich an das gewaltsame Eindringens der Cops ins Haus nicht erinnern. Jedoch hätten sich alle Besetzer*innen sehr schwer gemacht. (Einer wiederzulassung der mitgeführten Waage wurde von der Richter*in abgelehnt) Immer wieder spricht er von Videomaterialien, die doch alles genauestens zeigen würden.
Nur Befehle ausgeführt…
Der nächste Zeuge, der Polizist Hermann, wird aufgerufen. Wie schon sein Kollege zuvor, erzählt auch er von dem Loch in der Wand durch das sie alle hatten kriechen müssen um in den Raum der sich aufhaltenden Personen zu gelangen. Aus Insiderquellen ist bekannt, dass neben dem Loch sich eine offene Tür befand die die Cops einfach hätten nutzen können. “Doch war es wirklich ein witziges Bild die Cops nach und nach dort durchkrabbeln zu sehen.” Zeuge Hermann kann sich sehr gut daran erinnern, dass Türen mit einem Rammbock von der Polizei aufgebrochen wurden, anders als sein Kollege. Auch ein Fenster haben sie so „geöffnet“ (wichtig wegen dem Vorwurf der Sachbeschädigung). Immer wieder betonte er bei Fragen, auf die er keine Antwort geben wollte dass dies eben nicht SEINE Aufgabe gewesen sei. “Es werden eben Befehle ausgeführt, was wird denn hier erwartet?” Die Befragung ging zu Ende und Hermann nahm im Zuschauerbreich Platz.
Rechtswiedrige Maßnahme?
Daraufhin ziehen sich die prozessbegleitenden Personen ihre Lätzchen mit der Aufschrift „Gerichte sind zum essen da“ über. Die angeklagte Person und die Laienverteidigung stellen nun einen Antrag, dass die S.45 der Akte vorgelesen wird, denn der Widerstand der geleistet worden sein soll, könnte gerechtfertigt sein, da die Zwangsanwendung der Cops ohne vorwarnung angewendet wurde. Also wurde nicht das mildeste Mittel gewählt. Das heißt, dass deren Handlung sogar illegal gewesen sein könnte. Das Gericht ließ sich jedoch nicht auf diese Argumentation ein.
Hin und her Entscheidungen
Die Staatanwaltschaft überlegt nun das Video, wie von Polizist Hermann vorgeschlagen, zu beantragen, was einen weiteren Prozesstag bedeuten solle. Dazu eine Pause. Als alle beteiligten des Prozesses wieder eintreten beginnt eine Diskussion zwischen Richterin und angeklagter Person, über das Lätzchen welches diese trägt. Nach einigem hin und her wird es schließlich gegen ein T-shirt mit ähnlicher Aufschrift und queerem (A) ausgetauscht.
Schutzräume für FLINTA* sind notwendig!
Die Verteidigung stellte einige Beweisanträge um zu beweisen, dass auch in Deutschland Femizide passieren, dass die Besetzer*innen ein Schutzraum für FLINTA* schaffen wollten und ein Solcher Freiraum nötig und geeignet ist um Gewalt gegen FLINTA* abzuwenden. Die Staatsanwaltschaft und Richterin hielt jedoch an ihrem Bestrafungswillen fest und ließen den Hausfriedensbruch nicht legitimieren. Dort sei kein Rechtfertigungsgrund nach §34 STGB (rechtfertigender Notstand) zu sehen. Ein Beweisantrag zum Beweis, dass die BRD nicht genug gegen Wohnraummangel tut wird mit dem Grund der Bedeutungslosigkeit abgelehnt.
StA fordert 100 Tagessätze à 5€
Das Plädoyer beginnt…mit der Staatsanwaltschaft. Das der Mensch nach der Räumung des Hauses zwei Wochen in U-Haft gesteckt wurde sei eigenes Verschulden gewesen, da diese aufgrund der Nicht-Identitätsfeststellung geschah. (Aber jemensch deswegen, trotzdem ja wegen eines Hausfriedensbruchs in Untersuchungshaft zu stecken ist unverhältnismäßig!) Außerdem ginge eine besondere Gefährlichkeit für die Cops aus, denn es sei ja duuunkel gewesen etc pp. In den Punkten der Sachbeschädigung und des Widerstands und des Hausfriedensbruchs soll Mensch also schuldig gesprochen werden und es werden 100 Tagessätze à 5€ gefordert.
Plädoyers
Die Laienverteidigung ergriff das Wort und verdeutlichte noch einmal, dass auch nach Aussage einiger Zeug*innen und laut der Akte, eindeutig die Polizei die Fenster kaputt gemacht hatte und dass die Besetzer*innen nicht den Vorsatz hatten das denkmalgeschützte Gebäude zu beschädigen. Die Unverhältnismäßigkeit der Schmerzensgriffe und die Tatsache, dass die eingesetzten Cops nicht befugt waren in solchen höhen Zwang anzuwenden rechtfertigte einen vermeidlichen Widerstand. Außerdem sei Widerstand unabhängig von der legalität legitim. Es konnte nicht bewiesen werden, dass die Villa Umfriedet war und so oder so hätten die Besetzer*innen gerechtfertigt gehandelt um Gewalt an FLINTA*s zu verhindern. Die Verteidigung plädierte für Freispruch.
Poesie und Musik im Gerichtssaal
Die Erklärung der beschuldigten Person beginnt mit poetischen Reimen über die Ungerechtigkeit des Systems und all die Hierarchien, die das entstehen lassen. Über Mensch und Tier, Lebewesen, die Welt. Es folgt ein Lied, welches teilweise umgedichtet wurde von Mona&Hummel -Vollzugsorgane. Teilweise wird beim Refrain aus dem Zuhörerbereich mitgesungen bei diesem zutreffenden Song. Die Urteilsverkündung wurde von angeklagter Person, Laienverteidiging und Zuschauer*innen boykottiert um mit einem kleinen Picknick vor dem Gericht den langen Tag ausklingen zu lassen. Das Urteil der Richterin entsprach dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft. Somit ging nach guten 4 einhalb Stunden der zweite Prozesstag zu Ende.
Hier findest du den Prozessbericht des ersten Verhandlungstags und die Pressemitteilung.
ENGLISH: Process report 22.06.21
The second trial day of the court theater around the “Tu-Mal-Wat Days” 2019 comes to an end. After the occupation of the “Red Villa” in Landsbergerallee 54 to open a shelter for FLINTA*, a wave of repression hit the occupants. One person was put in custody for refusing to provide personal information. Now this person was allowed to present the concerns of the occupation once again in court.
Prelude of the court employee
Already at the beginning, both the accused person and a solidary process companion*in (dressed as a giraffe and a little pig) were not allowed into the building. The accused person is first forced to undress and is searched superfluously thoroughly (despite the metal detector not sounding the alarm). When asked why, the person is threatened with being banned from the building. The breakfast roll, a pasta strainer, a scale, a guitar and a bed sheet are confiscated. Meanwhile, at least two judicial guards put on their quartz gloves and put on a mackertheater. Clearly so humans in animal costumes are already meanly dangerous. There must be in any case also for each person an escort to the loo. But finally the quails gave in and allowed the animal costumes.
Also the judge did not seem enthusiastic about the presence of the animal disguises, and instructed the lay defense to take off her zebra costume. The zebra countered that the prosecutor, judge, and even the quail had also appeared in costume. He said that if the zebra was to take off its clothes, it was only fair that everyone else take off their costumes as well. When the defendant person in pig costume entered the high-security room, the judge gave up the costume argument and lectured the witnesses present.
“A lever technique was used. A pain in the wrist makes you go AWOL…”
Now it should go on with the witness* questioning. At the first trial date so far only the property manager of Villa54 and the cop of the 13th Hundred “Lange” were called. Before it can start with the questioning, the accused person made a request for a weapon-free courtroom. With success. The armed professional witness “Bachmann” had to take off his belt with pepper spray before testifying. He now marched into the courtroom with only his bulletproof vest on his body. Now followed mainly a repetition of the statements of the cop “Lange”: He had used a lever technique when releasing the squatters, so that they “voluntarily” released themselves. It was so scary and threatening to hear the squatters singing, it was also dark… Bachmann does not find an answer to many questions, he can’t/won’t remember the forcible entry of the cops into the house, this or that. Again and again he talks about video material that would show everything in detail.
Only orders were carried out…
The next witness, policeman Hermann, is called. Like his colleague before, he also tells about the hole in the wall through which they all had to crawl in order to get into the room of the people who were staying there. It is known from inside sources that next to the hole there was an open door that the cops could have easily used. “But it was really a funny picture to see the cops crawling through there one by one.” the defendant enthused. Witness Hermann can remember very well that doors were broken open with a battering ram by the police, unlike his colleague. They also “opened” a window in this way (important because of the accusation of damage to property). Again and again, when asked questions to which he did not want to give an answer, he emphasized that this was not HIS job. “Orders are just being carried out, what is expected here?” The questioning ended and Hermann took a seat in the audience area.
Illegal measure?
Thereupon the persons accompanying the trial put on their bibs with the inscription “Courts are for eating.” The accused person and the lay defense now make a motion that p.45 of the file be read out, because the resistance that is said to have been offered could be justified, since the coercive action of the cops was used without warning. So the mildest means was not chosen. This means that their action could even have been illegal. The court, however, did not accept this argumentation.
Back and forth decisions
The prosecution is now considering requesting the video as suggested by Trooper Hermann, which should mean another day of trial. There is a break. When all parties involved in the trial re-enter, a discussion begins between the judge and the defendant about the bib the defendant is wearing. After some back and forth it is finally exchanged for a T-shirt with similar inscription and queer (A).
Shelters for FLINTA* are necessary!
The defense filed several motions to prove that femicides also happen in Germany, that the squatters wanted to create a shelter for FLINTA* and that such a shelter is necessary and suitable to avert violence against FLINTA*. The public prosecutor’s office and the judge, however, stuck to their will to punish and did not allow the trespass to be legitimized. There was no justification according to §34 STGB (justifiable state of emergency). A request for evidence to prove that the FRG does not do enough against housing shortage is rejected with the reason of insignificance.
In the name of the state
The plea begins…with the prosecution. That the person was put in custody for two weeks after the eviction of the house was his own fault, since this happened because of the non-identity determination. (But to put someone because of it, nevertheless yes because of a house trespass in pre-trial detention is disproportionate!) In addition a special danger for the Cops would go out, because it would have been duuunkel etc pp. In the points of the damage to property and the resistance and the trespassing man is to be found guilty and it is demanded 100 daily sentences à 5€.
The lay defense took the floor and clarified once again that even according to the testimony of some witnesses and according to the file, the police had clearly broken the windows and that the squatters did not have the intention to damage the listed building. The disproportionate use of force and the fact that the cops were not authorized to use force at such a high level justified an avoidable resistance. Moreover, resistance was legitimate regardless of legality. It could not be proven that the villa was enclosed and either way the squatters would have been justified in acting to prevent violence against FLINTA*s. The defense pleaded for acquittal.
Poetry and music in the courtroom
The statement of the accused person begins with poetic rhymes about the injustice of the system and all the hierarchies that create it. About man and animal, living beings, the world. It follows a song, which was partially re-penned by Mona&Hummel -Vollzugsorgane. Partly one sings along with the refrain from the audience area with this true song. The announcement of the sentence was boycotted by the accused person, lay defense and spectators*innen around with a small picnic before the court the long day to let end. The judge’s verdict was in line with the prosecution’s proposal. Thus, after a good 4 and a half hours, the second day of the trial came to an end.